Tornetalfinnisch - Revitalisierung einer Minderheitensprache

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Karsten
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Tornetalfinnisch - Revitalisierung einer Minderheitensprache

Beitrag von Karsten »

Versäumnisse der restriktiven schwedischen Sprachpolitik wirken noch heute nach. Schwedisch galt jahrzehntelang als einzige Sprache, den Minderheiten war die Ausübung der Muttersprache verboten. Das betraf vor allem die finnische Minderheit im Tornetal und die samische Urbevölkerung. Seit zehn Jahren bereits haben die samische, finnische sowie tornetalsfinnische Minderheit das Recht auf die Ausübung ihrer Muttersprache im Kontakt mit den Behörden, eine Möglichkeit, die selten genutzt wurde. Nun wurden zusätzliche Mittel eingesetzt, um die Minderheitensprachen in Schweden wieder zu revitalisieren, denn manche sind akut gefährdet.

Melancholische Klänge zum Tornetalsfest in Luleå, wo sich alljährlich Kultur und Wirtschaft des finnisch-schwedischen Tornetals präsentieren. Die Gruppe The Meänland singt in Meänkieli, was unsere Sprache heißt und eine Mischung aus Schwedisch und Finnisch ist. The Meänland heißt unser Land als Mischung aus Meänkieli und Englisch. Die vier jungen Leute singen in Meänkieli, Tornetalsfinnisch, früher als hässlich und minderwertig bezeichnet, heute wieder identitätsschaffend. Im schwedisch-finnischen Tornetal hat sich diese eigene Sprache über die Jahrhunderte entwickelt, bis sie vom schwedischen Staat sukzessive zurückgedrängt wurde. Ab den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts galt in den Schulen des Tornetals nur noch Schwedisch. Generationen von Kindern wurden so auch ihrer Identität beraubt.

Kerstin Tuomas Larsson hat zwei Gedichtbände in Meänkieli geschrieben, eine Sprache, die sie sich erst zurückerobern musste. Denn ihre Eltern waren in den dreißiger Jahren bereits Opfer der Schwedifizierung. „Unsere Eltern haben mit mir und den Geschwistern immer nur Schwedisch gesprochen. Weil sie sich selbst mit viel Mühe Schwedisch beibringen mussten, auf speziellen Sprachreisen nach Luleå, Piteå und Boden. Darüber habe ich ein Buch geschrieben mit dem Titel ‚Die Gehirnwäsche-Reise’, sie wurden so ‚behandelt’, dass meine Mutter zum Beispiel auch nie Finnisch mit meinen Enkeln gesprochen hat. Obwohl die Sprache ihres Herzens Finnisch war, Meänkieli.“

Die Autorin erinnert sich auch, dass zuhause in Pajala stets Schwedisch im Haus und in der Küche gesprochen wurde, mit den Kindern und dem Hund. Draußen im Stall aber mit den Tanten und den Kühen Finnisch.

Sprache der Obrigkeit

Auf dem Tornetalsfest präsentieren sich Gruppen, Schriftsteller, Unternehmen und die Kommune Pajala, die als sogenannte Verwaltungskommune für die Sprache Meänkieli mit ihren Bürgern auf Schwedisch und Meänkieli kommuniziert. Dazu gehört auch Meänkieli im Kindergarten, Pflegeheim, der Verwaltung und vor Gericht. Das aber ist mit gewissen Hindernissen verbunden, wie Ann-Mari Mäki Larsson, Kultur- und Ausbildungschefin der Stadt, weiß: Meänkieli als Sprache des Alltags, Ann Mari Mäki Larsson von der Kommune Pajala. Foto: Katja Güth
„Als das behördliche Schweden ins Tornetal vordrang, hat es seine Sprache und Begriffe mitgebracht. Im Kontakt mit Behörden musste man einfach Schwedisch sprechen. Es gibt keine Begriffe in Meänkieli für das Behördenschwedisch, die müsste man erst erfinden oder aus dem Finnischen übernehmen. Wenn es um Politik und Verwaltung geht, redet man Schwedisch, Meänkieli ist die Sprache des Alltags. Ja, und der Jagd, im Tornetal jagt wohl niemand Elche auf Schwedisch.“

Die jahrzehntelange Vorherrschaft des Schwedischen hat ihre Spuren nicht nur im Tornetal hinterlassen. Auch die Sami wurden gezwungen, Schwedisch zu sprechen, weshalb viele ihre Muttersprache nicht gelernt haben.

Projekte zur Revitalisierung des Samischen, das in mehreren Dialekten gesprochen wird, werden inzwischen gefördert, wie Kajsa Syrjänen Schaal vom zuständigen Ministerium für Gleichstellung und Integration erklärt: „Die Regierung hat zuvor eine Politik vertreten, die dem Samischen und Meänkieli in Nordschweden kaum Platz gegeben hat. Durch die Unterzeichnung der Konvention zum Schutz der Minderheiten will Schweden mit einer geänderten Politik zeigen, dass diese Sprachen auch wichtig sind, weil sie ein Teil des schwedischen Kulturerbes darstellen. Im Samischen zum Beispiel werden die südsamischen Dialekte kaum noch gesprochen. Da wollen wir nun was dagegen tun, deshalb sind in diesem Sprachbereich neue Verwaltungskommunen dazu gekommen.“

Geld zur Rettung der Sprache

In 13 Verwaltungskommunen dürfen die Einwohner nun Südsamisch im Umgang mit den Behörden verwenden, weitere 18 Kommunen gibt es für Finnisch im Großraum Stockholm. Umgerechnet acht Millionen Euro sind dafür zunächst veranschlagt, das ist immerhin acht mal so viel wie in den letzten zehn Jahren für die Bewahrung der Minderheitssprachen verwendet wurde. Dennoch ist es nicht einfach, die hochgesteckten Ziele auch umzusetzen. Es wird lange dauern, bis die Minderheiten ihre Muttersprachen wieder beherrschen, muss auch Kajsa Syrlänen Schaal vom Ministerium einräumen:

„Wir haben in der Tat einen großen Mangel an Samisch sprechendem Personal im Pflegebereich und in der Schule vor allem. Da müssen wir mehr ausbilden. Aber eines nach dem anderem. Zunächst geben wir den Menschen die Möglichkeit, ihre Muttersprache anzuwenden, dann müssen wir auch mehr Lehrer bekommen.“

Sprachkurse, Unterricht in der Muttersprache und der Gebrauch im Alltag und zuhause sind ein Teil der Revitalisierung. Ein anderer die Kultur, Musik und Theater, das wissen nicht zuletzt die Menschen in Pajala im Tornetal. Das dort ansässige Tornetalstheater hat viel bewirkt, meint Ann-Mari Mäki Larsson von der Kommune:

„Ich kann das Theater nicht oft genug in den Himmel loben. Dort haben wir eine Bühne für die Sprache und Stücke inszeniert, die der Sprache eine Legitimation verschaffen, und das mit Erfolg. Wenn das Norrbottenstheater aus Luleå ein Gastspiel in Pajala hat, dann kommen vielleicht hundert Leute, wenn das Tornetalstheater Vorstellungen gibt, kommen fünfhundert Zuschauer, weil alle die Sprache, die man früher nicht sprechen durfte, auf der Bühne hören und genießen wollen.“

(Quelle: Radio Schweden)


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renate
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Re: Tornetalfinnisch - Revitalisierung einer Minderheitenspr

Beitrag von renate »

Ich finde es sehr gut, dass Schweden mittlerweile Finnisch und Samisch als Minderheitensprachen anerkennt. Als ich das letzte Mal in Kiruna war, konnte ich merken, dass die Samen stolz auf ihr Recht auf muttersprachlichen Unterricht sind.
In Finnland ist Schwedisch nicht nur eine Minderheitensprachen, sondern eine zweite, gleichberechtigte Amtssprache.

Viele Gruesse aus Goeteborg
Renate


renate
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Re: Tornetalfinnisch - Revitalisierung einer Minderheitenspr

Beitrag von renate »

Gerade habe ich uebrigens auf svt2 die Nachrichten auf Samisch und direkt im Anchluss auf Finnisch gesehen.

Viele Gruesse
Renate


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