Kritikfähigkeit von Schweden

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wiesel
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Kritikfähigkeit von Schweden

Beitrag von wiesel »

Ich wollte mal ganz allgemein fragen wie es mit der Kritikfähigkeit von Schweden aussieht. Ich musste bisher noch nichts und niemanden in Schweden kritisieren, aber ich frag mal rein aus Neugierde...

Gibt es Dinge, die man nicht kritisieren sollte?
Wie fassen Schweden personen bezogene Kritik auf?
Gilt man als arrogant wenn man sich kritisch äußert?
Sollte man Kritik eher diiplomatisch vermitteln oder ganz direkt?


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Brelinger
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Re: Kritikfähigkeit von Schweden

Beitrag von Brelinger »

Hej,

denke eine pauschale Antwort auf die Kritikfähigkeit eines ganzen Landes gibt es nicht. Tendenzen aber schon. Ich versuch' mal meine Impressionen wiederzugeben.

Für Diskussionen versuche ich die folgenden Dinge zu beherzigen:

- Sei deutlich in den Dingen die Dir wichtig sind, lasse aber Platz zum anpassen der anderen Dinge
- Kritisiere sachlich und fundiert, mit Rücksicht darauf dass das Gegenüber immer sein Gesicht behält
- Führe individuelle Fehler nicht vor anderen laut und deutlich an
- Lasse Interpretationsspielraum bei Deiner Kritik, so dass am Ende alle Recht haben können
- Das Wort "Besserwisser" hat nicht umsonst einen sehr deutschen Klang
- Man "bittet" höflich & bestimmt, eher als dass man "bestimmt"

-> Keine zu persönliche, scharfe Kritik - eher diplomatisch vermittelnd

Dies sind meine Eindrücke, teilweise musste ich einige dieser Weisheiten langsam und schmerzhaft erfahren.
Ich folge der Theorie allerdings auch nicht immer - manchmal bin ich einfach recht "tysk" - aber sonst wärs ja auch langweilig :mrgreen:


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torsten1
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Re: Kritikfähigkeit von Schweden

Beitrag von torsten1 »

Also erstens, Schweden können auch sehr "tysk" sein, das ist gar nichts Besonderes.
Zweitens, die aufgezählten Regeln für das Äußern von Kritik gelten überall, nicht nur in Schweden. Ich sehe da bei Schweden keine andere Mentalität als bei Deutschen.


Leute mit Mut und Charakter sind den anderen Leuten immer sehr unheimlich. (Hermann Hesse)
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Aelve
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Re: Kritikfähigkeit von Schweden

Beitrag von Aelve »

Hallo,

ich habe mal irgendwo gelesen und glaube auch, dass es stimmt, dass die Schweden selber nicht so hart Kritik üben wie beispielsweise andere Landsmänner.
Ich denke mal, dass ein Schwede z.B. eher sagen wird, dass man etwas sehr gut macht, aber man könnte es auch so oder so machen. Das finde ich persönlich sympathisch, denn ich bin auch der Meinung, dass mancher etwas besser so kann und der andere es anders besser erledigen kann, so dass man nicht immer sagen kann, dass nur die eine Handlungsweise richtig ist. Womit jemand gut zurecht kommt, da muss die andere Person nicht zwangsläufig auch gut mit zurechtkommen.

Ich finde es deshalb nicht gut, wenn man auf seiner Handlungsweise beharrt. Ich finde es wie der Schwede es dann ausdrückt, dass er einen erst lobt und dann auch aufzeigt, dass man es auch anders gut händeln könnte sehr konstruktiv. So verliert der Gesprächspartner nicht sein Gesicht, er lernt was dazu und muss sich keine Blösse geben, weil er es evtl. umständlicher gemacht hat.

Soweit ich von Deutschen, die in Schweden leben, erfuhr, sind die Schweden einfühlsamer und eben freundlicher in ihren Äußerungen, wenn sie Kritik üben wollen.
Dadurch ist das Miteinander entspannter als wenn man sich laufend rechtfertigen muß oder so behandelt wird, als wenn man eher dümmlich ist, nur weil der Gesprächspartner meint, dass er alles am besten kann.

Grüße Aelve


So arbeiten, als könnte man ewig leben. So leben, als müsste man täglich sterben.
Brelinger
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Re: Kritikfähigkeit von Schweden

Beitrag von Brelinger »

torsten1 hat geschrieben:Zweitens, die aufgezählten Regeln für das Äußern von Kritik gelten überall, nicht nur in Schweden. Ich sehe da bei Schweden keine andere Mentalität als bei Deutschen.
...überall - nie - immer .... sind Worte, die man sorgfältig nutzen sollte.

In Asien wird Kritik anders angebracht als bei uns. In Nordamerika ebenfalls. Auch die "ähnlichen" Kulturkreise in Europa haben verschiedene Traditionen, was das betrifft.Deshalb sind auch SWE und DE so unterschiedlich.
Der kleine aber feine Unterschied macht es eben - the little things that kill.

Aelve:
:lol: Kritik der Schweden:

"Finde ich klasse Deinen Vorschlag....vielleicht statt gelb einfach blau und statt rund vierkantig...und hier und da noch ein paar Änderungen"
"Also nicht so gut"
"Doch ist super... aber wir müssen noch was ändern"

Wer es noch nicht erlebt hat ---- ein Klassiker der schwedischen Kritik. ;)


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wiesel
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Re: Kritikfähigkeit von Schweden

Beitrag von wiesel »

Erst mal danke für die Antwortem...
Aelve hat geschrieben:Hallo,
Dadurch ist das Miteinander entspannter als wenn man sich laufend rechtfertigen muß oder so behandelt wird, als wenn man eher dümmlich ist, nur weil der Gesprächspartner meint, dass er alles am besten kann.
Klingt einleuchtend. Hab ich noch nie drüber nachgedacht...

So lange das mit dem "Gesicht verlieren" nicht so krass ist wie bei den Chinesen, kann man damit wohl noch umgehen lernen. Als Deutscher ist man aber nun mal so "streitlustig" vorprogrammiert.


Kurt Wolf
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Re: Kritikfähigkeit von Schweden

Beitrag von Kurt Wolf »

Ich gebe allen Ratgebern Recht. Wir Deutschen sind (vielleicht: weil ungeduldiger) im Vergleich zu Schweden sehr direkt. Wo ich herkomme, aus Berlin, ist das noch ausgeprägter - ohne dass es böse oder aggressiv gemeint ist.
Allem Rat sollte man vielleicht unterlegen, dass die Schweden viel ausgleichender und auf Harmonie bedachter sind als wir.

Man ist am Besten "lagom", durchschnittlich in dem Sinne "im Mittel". Wenn wir mal bedenken, dass der Mensch eine große Ansammlung sehr durchschnittlicher Fähigkeiten ist (in der Natur gibt es für jeden unsrer Sinne und fast jede unserer Fähigkeiten Spezies, die genau dieses oder jenes viel besser können), dann ist Mittelmaß sehr menschlich. Und "im Mittel" bedeutet auch natürliche Integration, weniger Konfliktpotential.
Deshalb ist das Hervortun eigener Fähigkeiten in Schweden schneller suspekt. Alles, was so aussieht, dass man Anerkennung erwartet, macht einen nicht sympathischer. Gutes erhält die Achtung oder Anerkennung von selbst.

Man sollte sich auch nicht auffällig benehmen im Sinne von "aus der Reihe". Tun, was die anderen tun - tun, "was dran ist" (dags att ...), mitmachen, nicht unbedingt "anders machen" (und wenn man schon meint, etwas auf seine Weise tun zu müssen, dann nicht auch noch darauf hinweisen, erklären, rechtfertigen).

Und: kontrollierte Emotionen. Laut sein oder laut werden ist definitiv "out". Diesbezügliche Gefühlsausbrüche machen lächerlich.


Kurt Wolf
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Aelve
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Re: Kritikfähigkeit von Schweden

Beitrag von Aelve »

Hallo Kurt Wolf,

Deine Erklärung finde ich super, so kann man auch gut nachvollziehen, warum die Schweden ausgleichener und ausgeglichener sind. Übrigens hast Du Deine Homepage sehr gut gestaltet, da kann man wirklich noch so einiges lernen, was Du so zusammen getragen hast. Mir leuchtet auch die Erklärung gut ein, dass jeder Mensch im Ganzen besehen eher mittelmäßig ist, denn wer kann schon alles hunderprozentig gut? Sicherlich gibt es vielseitige Personen, ich zähle z.B. Goethe dazu, der ja auf vielen Gebieten ein Genie war, aber ich habe festgestellt, dass solche intelligenten Leute gerade nicht damit prahlen und anderen Personen ihre Fehler eher nachsehen, als jemand der selber kein Perfektionist ist.

Ich bin deshalb auch der Meinung, dass man eher loben soll anstatt zu kritisieren und das scheint wohl in Schweden auch eher ausgeübt zu werden.

Liebe Grüße Christa


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Realist
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Re: Kritikfähigkeit von Schweden

Beitrag von Realist »

Man darf mit seiner Kritik halt einfach nicht mit der Tür ins Haus fallen.
Was sehr gewöhnungsbedürftig ist: Dass die Schweden oft seeeehr zurückhalten mit kritischen Bemerkungen sind und net mal auf den Tisch hauen können (die meisten, die ich kenne). Da weiss man leider oft nicht, woran man ist.


Samweis

Re: Kritikfähigkeit von Schweden

Beitrag von Samweis »

Hallo,

interessantes Thema. Ich denke, dass Sprache und Verhalten auf eine landesspezifische Weise "codiert" sind und man mit einer wörtlichen Übersetzung deshalb oft daneben liegt.
Wenn ein Franzose sagt (wörtlich übersetzt): "Ist es so, dass Sie mir das Salz reichen könnten, wenn es Ihnen gefällt?", dann kann ich das in manchen Gegenden Deutschlands mit "Gib mal das Salz!" übersetzen. Das klingt anders, ist aber nicht notwendigerweise anders oder weniger freundlich gemeint (sogar ohne Konjunktiv oder "Bitte"!).

Wenn ein Deutscher auf eine Aussage mit "Hm, meinst Du?" reagiert, ist das etwas völlig anderes, wie wenn ein Schwede mir sagt "Jaså? Tror du det?" Deutlicher kann er wohl gar nicht sagen, dass er eigentlich "Bullshit!" rufen will. ;-)

Deshalb wirken m.E. Schweden mitunter etwas "weichgespült" - was aber nicht heißen muss, dass sie es sind, oder dass sie "netter" sind, oder "enstpannter".
Wenn man im Ausland ist, erfährt man zunächst, wie man selber ist, nicht wie "die Anderen" sind.

Viele Grüße

Samweis


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Realist
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Re: Kritikfähigkeit von Schweden

Beitrag von Realist »

Genauso hatte ich anfangs Probleme, wenn man freundlich etwas fragte und zur Antwort bekam: "Vad vill du?", was sich ja in deutschen Ohren etwas pampig anhört. Jetzt weiss ich natürlich, dass es auch "Was möchtest du?" bedeuten kann.


wiesel
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Re: Kritikfähigkeit von Schweden

Beitrag von wiesel »

Ich find Schweden sind auch sehr verunsichert wenn ich z.b. mein eigenes Land kritisiere. Deswegen dachte ich ja auch, dass es vielleicht ein Tabu ist, als Schwede Schweden zu kritisieren....


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Grizzly2
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Re: Kritikfähigkeit von Schweden

Beitrag von Grizzly2 »

wiesel hat geschrieben:Ich find Schweden sind auch sehr verunsichert wenn ich z.b. mein eigenes Land kritisiere. Deswegen dachte ich ja auch, dass es vielleicht ein Tabu ist, als Schwede Schweden zu kritisieren....
Schliesslich haben die Schweden nicht wie unsere Landsleute halb Europa massakriert und dafür angemessen auf den Hut bekommen. Deshalb sehen sie auch weniger Grund, sich kritisch mit dem eigenen Land auseinanderzusetzen.


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