Das »Stockholm-Experiment«

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Helmer
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Das »Stockholm-Experiment«

Beitrag von Helmer »

Das »Stockholm-Experiment«
Geteilte Meinungen über Erprobung einer City-Maut in der schwedischen Hauptstadt


In Stockholm soll ein Mautsystem Staus und Abgase in der Innenstadt reduzieren. Anfang Januar startet dazu der Großversuch.

Für die meisten Schweden ist »Stau« ein Fremdwort. Weil der überwiegende Teil des skandinavischen Landes dünn besiedelt ist, kommt es selten zu Verkehrsbehinderungen. Anders ist jedoch die Situation in der Hauptstadt, wo Tag für Tag über eine halbe Million Autos und Lkw gezählt werden. Stockholm hat rund 765 000 Einwohner – bis 2013 wird ein weiterer Anstieg um 67 000 prognostiziert –, und um die Stadt herum wohnen zusätzlich 1,1 Millionen Menschen. Da die Haupteinfahrtsrouten wie Nadelöhre sind, klagen viele Einwohner über verstopfte Straßen, zeitraubende Staus im Berufsverkehr und über Luftverschmutzung mit Abgasen und Feinstaub. Da sich die Innenstadt auf eine Vielzahl von Inseln und Landzungen verteilt, ist es jedoch schwer, das bestehende Straßen- und Autobahnnetz auszubauen.

Umweltpolitiker fordern deshalb seit Jahren die Einführung eines Mautsystems, das Pendler zum Umsteigen auf den öffentlichen Nahverkehr bewegen soll. Im August 2004 beschloss der schwedische Reichstag auf Druck der grünen Partei, eine City-Maut nach dem Vorbild Londons oder Singapurs einzuführen – zunächst versuchsweise, jedoch verbunden mit einem Ausbau von Buslinien, Trams sowie U- und S-Bahnen. In diesem Sommer nahm der Stockholmer Verkehrsverbund 200 neue Busse sowie 16 neue Direkt- und Expressbuslinien zwischen Vororten und Innenstadt in Betrieb.

Am 3. Januar beginnt nun die zweite, entscheidende Phase des Versuchs: Für sieben Monate müssen alle, die per Auto in die Innenstadt pendeln, eine Maut entrichten. Anders als in der norwegischen Hauptstadt Oslo, wo ein Ring von Mautstationen das Stadtzentrum umgibt, sind die Kontrollpunkte in Stockholm nahezu unsichtbar und verursachen keine Verkehrsbehinderung. An allen wichtigen Einfahrtsstraßen aufgestellte Kameras sollen automatisch die Kennzeichen der passierenden Autos sowie die Uhrzeit erfassen. Die Daten werden an »Transponder« übermittelt – kleine Geräte in den Autos der Pendler, die anzeigen, auf welchen Betrag sich die jeweils fällige Maut beläuft. Die Autofahrer müssen die Summe innerhalb von fünf Tagen an die Verkehrsbehörde »Vägverket« entrichten – per Bankeinzug oder in bar bei Filialen zweier Kiosk-Ketten. Die Maut wird montags bis freitags zwischen 6.30 und 18.29 Uhr fällig und schwankt je nach Uhrzeit zwischen 10 und 20 Kronen (1,06 bis 2,12 Euro) pro Strecke. Touristen bleiben vorerst verschont, denn das Kamerasystem kann nur in Schweden registrierte Pkw erfassen.

Abgabefrei verkehren weiterhin Einsatzfahrzeuge, Busse, Taxis, Autos von Behinderten oder mit alternativen Kraftstoffen angetriebene Fahrzeuge.

In Stockholm ist der Mautversuch indes umstritten, obwohl fast alle die jetzige Verkehrssituation als Belastung empfinden. Pendler sind verärgert darüber, dass die Maßnahme sowohl Geld kostet als auch Zeit für das Bezahlen der Abgaben. Kommunalpolitiker sind darüber empört, dass ihnen die City-Maut von der Zentralregierung aufgezwungen wurde, obwohl sich in Umfragen stets eine Mehrheit der Bewohner des Großraums gegen die Maut ausgesprochen hat. Und Datenschützer betrachten den Einsatz des Kamerasystems als Überwachungsmaßnahme und meinen, es sei nur eine Frage der Zeit, bis sich Polizei und Sicherheitsdienste für die gespeicherten Daten interessieren.

Ihre Verfechter – darunter der Elektronikkonzern IBM, der das Mautsystem unterhält – setzen indes auf einen Meinungswandel, wenn der Versuch erfolgreich verläuft und der Autoverkehr in der Hauptstadt tatsächlich um die anvisierten 10 bis 15 Prozent zurückgeht. Nach Abschluss des Versuchs Ende Juli 2006 sollen die Stockholmer in einer Volksabstimmung entscheiden, ob die Mautstationen zur Dauereinrichtung werden oder wieder verschwinden.
Von Bernd Parusel, Stockholm www.nd-online.de


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Helmer
Beiträge: 52
Registriert: 10. März 2005 19:52

Citymaut mit Schönheitsfehlern

Beitrag von Helmer »

Citymaut mit Schönheitsfehlern

Zum neuen Jahr führt Stockholm versuchsweise einen Straßenzoll ein. Doch die gute Idee hat ihre Haken. Jeder kann zukünftig nachschauen, wann der Nachbar in die Stadt gefahren ist. Das sind schlechte Bedingungen für die Abstimmung im September

Ab Dienstag ist Stockholm nicht mehr kostenlos. Dann kostet es eine Fahrt mit Pkw in die City zur Rushhour "Trängselskatt", also "Gedrängelsteuer". Zwei Euro sind Montags bis Freitags zwischen 6.30 und 18.30 Uhr fällig.ansonsten die Hälfte. Der erhoffte Effekt: 20 Prozent der bisherigen Pkw-PendlerInnen lassen ihr Auto stehen und nehmen Bus und Bahn.

Prinzipiell positiv, aber in der Umsetzung teils bedenklich, teils absurd. So gilt das Ganze zunächst nur für sieben Monate - bis zu den Parlaments- und Kommunalwahlen am 17. September. Dann soll in Stockholm auch über die Maut abgestimmt werden. Fast 400 Millionen Euro kosten die Investitionen für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und die Technik des Bezahlsystems. Zumindest Letztere wäre hinausgeworfenes Geld, würden die StockholmerInnen mehrheitlich Nein sagen.

Und diese Möglichkeit zeichnet sich nun erstmals ab, die kritischen Stimmen mehren sich. Standen die staugeplagten HauptstadtbewohnerInnen einer Trängselskatt nämlich vorab deutlich aufgeschlossen gegenüber, zeigen sich nun 51 Prozent skeptisch und nur noch 44 Prozent positiv.

Stockholms Straßenzoll wird nicht als Benutzungsgebühr, sondern als Steuer erhoben. Nun fällt aber alles was mit Steuern zu tun, hat in Schweden unter das Öffentlichkeitsprinzip. Mit einigen Internetklicks kann man also bald nicht nur sehen, wie viel Einkommensteuer der Nachbar bezahlt, sondern auch, ob und wann sein Pkw an einer Stockholmer Mautstelle fotografiert wurde.

162 Kameras an den Mautgrenzen registrieren alle Kennzeichen, und das in beide Richtungen bei jeder Durchfahrt. Wer einen Transponder hinter der Windschutzscheibe hat, von dessen Konto wird automatisch die Maut abgebucht. Alle anderen haben 5 Tage Zeit an einem Zeitungskiosk oder bei 7-Eleven die Steuer einzubezahlen. Dort stehen Terminals, auf denen man selbst nachschauen kann, was man aktuell schuldig ist. Und jeder andere auch.

All diese schönen Kameras, die Daten in Massen sammeln, haben bereits im Versuchsbetrieb die Begehrlichkeit der Polizei geweckt. Und anders als in Deutschland, wo ein Gesetz das bei den Mautbrücken von Toll Collect - noch - verbietet, haben die Strafverfolgungsbehörden vollen Zugriff auf diese Daten. Anlässlich einiger Überfälle auf Geldtransporte wurden die Kameradaten bereits ausgewertet. Die Bürger Stockholms werden also etwas gläserner. Es sei denn, sie nutzen auch aus diesem Grunde zukünftig öfter die Busse und Bahnen.
www.taz.de AUS STOCKHOLM
REINHARD WOLFF


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